Wem helfen eigentlich Hilfszügel?!

Spoiler: der Reitsportindustrie

 hilfszugel fluch oder segen

Wenn wir uns allgemein über das kontrovers diskutierte Thema „Hilfszügel“ unterhalten, so müssen wir erst einmal definieren, welche Hilfszügel es überhaupt gibt, wofür sie eingesetzt werden und wie sie auf das Pferd wirken. Nur so ist eine fundierte und auf Fakten basierende Diskussion überhaupt möglich. Denn bei diesem Thema scheiden sich wahrlich die Geister!

Was gibt es für Hilfszügel und wie wirken diese auf das Pferd?

Ausbinder:

Ausbinder sind Riemen, die am Trensenring und seitlich am Gurt des Pferdes befestigt werden. Ihr Zweck besteht darin, dem Pferd die Anlehnung ans Gebiss zu lehren oder das Pferdemaul vor unerfahrenen Reitern zu schützen. Diese Hilfszügel bieten eine stetigere Verbindung zum Pferdemaul im Vergleich zur Reiterhand. Sie geben dem Pferd einen klaren Rahmen vor, da sie nach oben und seitlich begrenzen. Es ist jedoch zu beachten, dass Ausbinder das Vorwärts-Abwärts und das Aufwölben des Genicks behindern können, insbesondere bei jungen und unausgebildeten Pferden (Kattwinkel 2019, 2009).

Chambon:

Der Chambon besteht aus einem Riemen, der zwischen den Beinen am Gurt befestigt und über das Genick zum Trensenring geführt wird. Seine Wirkung tritt ein, wenn das Pferd den Kopf über ein bestimmtes Maß hebt. Es übt Druck auf das Maul, die Lefzen und das Genick aus, um das Pferd dazu zu bringen, den Kopf abwärts zu strecken. Eine Variante des Chambon ist die Gogue.

Dreiecks-/Wienerzügel:

Dreieckszügel, auch Wienerzügel genannt, werden mit einer Schlaufe am Gurt zwischen den Vorderbeinen angebracht und teilen sich dann in zwei Hälften. Ihre Aufgabe besteht darin, das Pferd dazu zu animieren, Kopf und Hals abzusenken, ohne dass es sich auf das Gebiss legt. Allerdings führen sie oft dazu, dass Pferde zu tief gehen und auf der Vorhand laufen.

Halsverlängerer:

Der Halsverlängerer ist ein starkes Gummiseil, das zwischen dem Bauchgurt und dem Trensenring verläuft und durch die Beine des Pferdes geführt wird. Er übt Druck auf das Genick und das Maul aus, um das Pferd dazu zu bringen, den Kopf zu senken. Allerdings kann er auch dazu führen, dass sich das Pferd einrollt, den Kopf schlägt und sich nicht korrekt an das Gebiss anlehnt. Zudem verstärkt er die unerwünschte Unterhalsmuskulatur und kann die Halsmuskulatur überdehnen (Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. 1999, Dressur Studien 3/07, Kattwinkel 2009, Weppelmann und Mensmann 2010, Krupp 2018).

Köhler-/Thiedemannzügel:

Der Köhler- oder Thiedemannzügel besteht aus einem Riemen mit Schlaufe, der am Gurt angebracht und zwischen den Vorderbeinen hindurchgeführt wird. Er teilt sich dann in zwei Enden, die durch den Gebissring führen und mit Karabinerhaken am Zügel befestigt werden. Seine Wirkung tritt ein, wenn das Pferd gegen den Zügel geht. Bei nachgebendem Genick wird die Wirkung des Zügels reduziert.

Laufferzügel:

Laufferzügel werden am Gurt befestigt und durch die Trensenringe geführt. Sie bestehen aus zwei etwa 250 cm langen Riemen, die jeweils an jeder Seite des Pferdekörpers ein Dreieck bilden. Ihre Höhe beeinflusst die Dehnungshaltung des Pferdes. Sie sollen dem Pferd Anlehnung bieten und es vor unruhigen Händen schützen. Sie werden sowohl beim Reiten als auch beim Longieren eingesetzt.

Schlaufzügel:

Schlaufzügel werden zwischen den Vorderbeinen am Gurt befestigt und durch die Gebissringe geführt. Sie dienen dazu, das Pferd nach oben zu begrenzen und in eine Streckung zu locken. Allerdings können sie bei falscher Anwendung erhebliche Schäden verursachen und sollten daher nur kurzzeitig und von erfahrenen Reitern verwendet werden. Sie sind nicht für den Anfängerunterricht geeignet und sollten den Trensenzügel nicht ersetzen.

Quellen: Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. 1999, Dressur Studien 3/07, Kattwinkel 2009, Weppelmann und Mensmann 2010, Krupp 2018, Berger (www.pferdewissen.ch), Kapitzke 2001.

Zwischenfazit: alle Hilfszügel sollen dem Pferd den Weg nach vorwärts-abwärts zeigen, einige Schlaufzügel sollen dem weit ausgebildeten Pferd in der Aufrichtung helfen und einige Schlaufzügel sollen das Pferdemaul vor der unerfahrenen Reiterhand schützen

Wie sollten Hilfszügel verschnallt werden?

Grundsätzlich sollten Hilfszügel so eingestellt werden, dass das Pferd seinen Kopf etwa eine Handbreit vor der Senkrechten tragen kann und im Schritt frei schreiten kann, während die natürliche Nickbewegung des Kopfes erhalten bleibt. Bei Biegungen sollte der innere Hilfszügel leicht durchhängen, um dem Pferd eine angemessene Bewegungsfreiheit zu ermöglichen (Weppelmann und Mensmann 2010).

Wann machen Hilfszügel Sinn?

Hilfszügel können jungen oder untrainierten Pferden helfen, den Weg in eine korrekte Haltung zu finden. Laufferzügel können für die fortgeschrittene Arbeit mit versammelten Pferden verwendet werden (Kapitzke 2001, Kattwinkel 2009, Krupp 2018).

Was sollte der Effekt von Hilfszügeln sein?

Es ist wichtig zu betonen, dass Hilfszügel nur vorübergehend eingesetzt werden sollten. Sie dienen dazu, dem Pferd eine Idee zu vermitteln, was von ihm erwartet wird, und sollten bei korrekter Anwendung in kurzer Zeit überflüssig werden (Schinko 2017).

Wie sollten Hilfszügel eingesetzt werden?

Wenn ein Pferd mit Hilfszügeln gearbeitet wird, sei es an der Longe oder unter dem Reiter, sollten regelmäßig Pausen eingelegt werden, in denen sich das Pferd frei bewegen kann, um seine Muskeln zu entspannen. Insbesondere unerfahrene Pferde sollten häufiger Pausen erhalten. Es ist auch wichtig, die Hilfszügel in den letzten Minuten des Trainings zu entfernen, um dem Pferd die Möglichkeit zu geben, sich zu strecken und die Körperhaltung zu überprüfen (Berger, www.pferdewissen.ch).

Gibt es Kontraindikationen?

Eine falsche Anwendung von Hilfszügeln kann kontraproduktiv sein und zu Widerständen und Problemen in der Arbeit mit dem Pferd führen. Insbesondere ein zu straff eingestellter Hilfszügel kann Druck aufbauen und dem Pferd Schaden zufügen. Es ist wichtig, die Anwendung, Verschnallung und Dauer der Hilfszügel sorgfältig zu überwachen (Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. 1999, Kattwinkel 2009).

Ein weiteres Problem kann sein, dass Hilfszügel dem Pferd eine bestimmte Kopf-Hals-Position vorschreiben und seine natürliche Ausdrucksmöglichkeit einschränken, was ein wichtiges diagnostisches Werkzeug für den Reiter oder Trainer entfallen lässt (Möller 2017).

Hilfszügel am Trensenring einschnallen oder am Kappzaum?

Das Trensengebiss hat eine instabile Lage im Pferdemaul und geringe Unterschiede in der Zugkraft können asymmetrische Positionen verursachen, was ein Risiko für Verletzungen darstellt (Uhlig 2009). Auch eine Verschnaöllung am Kappzaum kann bei unerwarteten Reaktionen des Pferdes ein Verletzungsrisiko darstellen.

Persönliches Fazit

Das Pferd soll in Selbsthaltung gehen, sich selbst Tragen, eine natürliche Balance/ Autoequilibration entwickeln, sein Körpergefühl schulen – wie soll das Pferd das lernen, wenn es mit Hilfszügeln verschnallt wird?!

Und warum sollte ich mir die Mühe machen Hilfszügel ein zuschnallen, dann wieder aus zuschnallen wegen der Pause und dann wieder ein zuschnallen – wenn ich denselben Effekt auch mit korrekter Longenarbeit nach Vorwärts-Abwärts bei aktiver Hinterhand erreichen kann?! Oder mit einer korrekten Dehnungshaltung unter dem Sattel? Ach ja, weil kaum jemand noch weiß, wie man dem Pferd an der Basis genau das beibringt… Und warum? Weil wir alle schön auf ausgebildeten Schulpferden gelernt haben, die über diese Grundausbildung schon hinaus waren und dann haben wir uns ein Pferd gekauft. Klar, jung und „unverbraucht“ musste es sein – war ja dann auch günstiger. Aber wer an der Basis spart – der wird nach hinten raus in der Ausbildung IMMER Probleme bekommen! Wie hieß es doch früher so schön: junger Reiter – erfahrenes Pferd und erfahrener Reiter – junges Pferd!

Und dabei gibt es sie noch, die Ausbilder, die genau nach diesen klassischen Grundsätzen arbeiten – man muss nur suchen und auch mal den steinigeren Weg einschlagen – zum Wohl des Pferdes!!!

Ein weiterer Aspekt für mich als Tierärztin und Physiotherapeutin ist der diagnostische Aspekt. Das Gangbild eines Pferdes sagt so viel aus, egal ob an der Longe oder unter dem Sattel, ich kann so viel daraus ablesen. Seien es Bewegungsstörungen, Taktfehler, Lahmheiten oder eine fehlende Losgelassenheit – dieses wichtige Diagnostikum wird mir genommen, wenn ich dem Pferd dieses Ausdrucksmittel verbiete und eine bestimmte Haltung vorgebe. Druck führt immer zu Gegendru+ck und niemals zu natürlicher Balance, Losgelassenheit und Harmonie.

So halte ich es im Fazit mit Friedrich von Krane (1856): „Hilfszügel sind dort [in der Pferdeausbildung] meist faule Knechte, die den Schein geben helfen [sic] und andere faule Knechte im Nichtstun unterstützen. [...] Hilfszügel geben so leicht den Anstrich eines Fortschrittes und sind deshalb bei den Leuten, denen es nicht um das Sein, sondern um den Schein zu tun ist, so beliebt.“

Literatur:

Berger: https://www.pferdewissen.ch/hz.php

Kapitzke G. 2001. Zügelführung mit Gefühl. München: BLV Verlagsgesellschaft mbH.

Kattwinkel K. 2009. Gutes Reiten hält mein Pferd gesund. Band 1. Hildesheim: Georg Olms

AG.

K Kienapfel, H Preuschoft Was bewirkt das Aufrollen des Pferdehalses?-Einflüsse der Halsstellung auf die Dehnung der Weichteile - Pferdeheilkunde, 2011 - researchgate.net

K Kienapfel, L Piccolo Voluntary Rein Tension in Horses When Moving

Unridden in a Dressage Frame Compared with Ridden Tests of the Same Horses—A Pilot Study 2019

Krupp, S. Studie über den Einsatz und die Wirkung von Hilfszügeln bei der Arbeit mit Reitpferden 2018

Möller 2017 Longieren als Dialog

Schinko D. 2017. Muskulatur verstehen, Training optimieren - Die Muskulatur des Pferdes, Anatomie und Biomechanik. Zweite Auflage. Norderstedt: BoD – Books on Demand.

Stodulka R. 2006. Medizinische Reitlehre - Trainingsbedingte Probleme verstehen,

vermeiden, beheben. Stuttgart: Parey in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH und Co. KG.

Uhlig 2009, Dissertation Darstellung der Lage verschiedener Trensengebisse im

Pferdemaul bei Einwirkung unterschiedlich starken

Zügelzuges am gerittenen Pferd im Halten

Weppelmann S, Mensmann S. 2010. Longieren - In kleinen Schritten zu großen Kreisen. Erste Auflage. Stuttgart: Müller Rüschlikon Verlag.

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