Wie sieht es eigentlich die Natur vor?
In der Herde werden die Jungpferde von der Mutterstute gesäugt und häufig erst relativ kurz vor der Geburt des nächsten Fohlens "abgesetzt". Dabei bedeutet abgesetzt lediglich, dass keine Versorgung mehr mit Milch stattfindet, die jungen Pferde sind häufig noch sehr lange bei ihrer Mutterstute. Im Falle der Stutfohlen bleibt häufig ein enges Mutter-Tochter-Band bestehen. Die Stutfohlen wachsen in der Herde auf und bleiben hier, wenn sie sich keiner anderen Herde anschließen oder "geraubt" werden. Für die Hengstfohlen verläuft das Leben etwas anders. Auch sie verbleiben in der Herde. Je nach Jungpferd kommt irgendwann die Zeit, in der der Hengst entscheidet, den jungen Konkurrenten aus der Herde zu vertreiben (es gibt selten auch Ausnahmen von dieser Regel). Dies ist abhängig vom Verhalten des Jungpferdes und findet meistens zwischen 2 und 4 Jahren statt - also wenn auch die männlichen Hormone langsam beginnen den jungen Burschen zu beeinflussen. Dies ist wensentlich später, als es in der Pferdezucht üblich ist. Der Hengst treibt das Pferd in einen gewissen Abstand zur Herde, hier verbleiben die Pferde häufig noch eine ganze Weile, bis sie sich zu sogenannten Junggesellengruppen zusammenschließen. Diese bieten die Sicherheit einer Herde, sind aber ansonsten etwas lockerere Strukturen, allerdings mit einer gewissen hierarchischen Ordnung. (Wer sich für das Sozialverhalten von Wildpferden - bzw- verwilderten Pferden interessiert, dem sei hier die Cloud-Foundation (Mustangs) oder Marc Lubetzki (Tierfilmer) empfohlen).
Und was sagen die Pferdehaltungsleitlinien?
Leider nichts, außer einer Definition:
Fohlen: von Geburt bis zum Absetzen (ca. 6 Monate)
Jungpferde: nach dem Absetzen von der Mut- terstute bis 30 Monate
Wo finde ich also fundiert etwas darüber? Im Positionspapier der TVT zu den Pferdehaltungsleitlinien?
Hier ist dem Mutter-Kind-Verhalten ein ganzer Abschnitt gewidmet. Das Absetzen wird nur indirekt beschrieben:
"Pferde sind in Gruppen lebende Tiere, für die soziale Kontakte zu Artgenossen unerlässlich sind. Alle sozialen Verhal- tensweisen sind angeboren, doch das gegenseitige Verstehen dieser Ausdrucksformen muss erst erlernt werden. Deshalb ist es für die soziale Entwicklung von Fohlen und Jungpferden (bis zum Alter von mind. 30 Monaten) unabdingbar, dass sie in der oder in einer Gruppe aufwachsen. Artgemäß ist die Aufzucht in Gruppen mit Gleichaltrigen. Aus Erziehungsgründen ist es von Vorteil in Jungpferdegruppen auch ältere Tiere zu halten. Fehlen diese Kontakte kommt es zu Verhaltensstörungen und zu eingeschränkter sozialer Kompetenz. Mit Ausbildungsbeginn (≥ 30 Monate) kann eine schrittweise Gewöhnung an die Einzelhaltung (s. Kapitel 3.4) erfolgen."
Meine Erfahrungen aus der Praxis:
Bei uns werden die Fohlen in der Herde geboren und danach für eine Woche mit Mutterstute separat gestellt (Tiere haben weiterhin Sichtkontakt, können sich berühren und riechen). Dies dient allerdings in erster Linie der Gewährleistung der medizinischen Versorgung und Kontrolle von Fohlen und Mutterstute. Temperaturkontrollen, Ausfluss, Abgang von Darmpech etc. können so besser bemerkt und schnell behandelt werden. Im Anschluss werden Mutter und Fohlen wieder in die Herde gelassen. Diese besteht aus 2-4 tragenden, güsten oder Fohlen-führenden Stuten, 1-2 Jungpferden und einem dominanten Hengst. Jungstuten werden aus der Herde genommen, sobald sich der Hengst beginnt für sie zu interessieren und kommen in die Jungpferdegruppe (Alter 1,5 - 4), in der auch die Rentnerpferde (Wallach und Stute) stehen. Das ist unsere Kindergartengruppe. Und nun zum Absetzen. Bei den Stutfohlen ist das ganz einfach, die bleiben bei uns in der Herde und laufen mit. Das Entwöhnen erledigen die Mutterstuten ganz selbstverständlich, dabei ist die eine Stute langmütiger und lässt die Fohlen länger trinken, andere lassen sich bereits nach 6 Monaten nicht mehr besaugen. Bei den Hengstfohlen wurde die Entscheidung immer durch die erwachsenen Pferde getroffen. Die Mutterstute hat über das Schließen der Milchbar entschiden und der Hengst hat die jungen Hengste irgendwann aussortiert. Zumeist war dies, je nach Charakter des Junghengstes mit 1-2 Jahren. Ein Hengstfohlen haben wir bereits sehr früh (mit 8 Monaten) aus der Herde genommen, weil seine Mutter ihn sehr traktiert hat - wir nennen sie liebevoll den "Alligator".
Bei uns werden die Stuten weiterhin leicht gearbeitet, mit Fohlen bei Fuß oder ohne. In letzterem Fal verbleiben die Fohlen in Sichtweite in der Herde. So ist eine schrittweise Entwöhnung ohne Stress gewährleistet. Ich denke das ist nah dran am so tiefgreifenden Begriff "artgerecht".
Allerdings muss ich einräumen, dass wir nicht auf den Verkauf der Fohlen angewiesen sind. Ich verstehe auch den Druck, der auf einem Züchter lastet, der keine Aufzuchtmöglichkeit für die Jungpferde hat...